Nach Jahrzehnten wirtschaftspolitischer Verfehlungen zeigte die Finanzwelt kaum eine Reaktion, als am 30. Juli 2014 um Mitternacht eine dreißigtägige Frist zur Bedienung ausstehender Kupons an gewisse Anleihegläubiger Argentiniens auslief. Die fehlende Reaktion belegt vor allem, wie bedeutungslos das Land an den internationalen Kapitalmärkten geworden ist. Die Anleihegläubiger hatten auch an diesem Tag keine Zinszahlungen erhalten; Argentinien war zum zweiten Mal in den letzten 15 Jahren pleite.
Tatsächlich hatte das Land den ausstehenden Betrag ordnungsgemäß an die Halter sogenannter Restrukturierungsanleihen überwiesen. Die Bank of New York Mellon als Zahlungsstelle durfte diese Gelder allerdings aufgrund eines zuvor gefällten Gerichtsurteils nicht an die Anleihegläubiger weiterleiten. Dieses Urteil geht auf einen langjährigen Rechtsstreit zurück. Nach der Staatspleite Argentiniens im Jahr 2001 restrukturierte das Land einen Großteil seiner Anleihen unter hohen Nennwertverzichten der Halter. Allerdings nahmen nicht alle Investoren in den damals ausstehenden Anleihen die Umtauschangebote an und klagten seither auf die volle Rückzahlung ihrer Ansprüche. Diese sogenannten „Holdout“-Anleihen werden im Gegensatz zu den Restrukturierungsanleihen seit 2001 nicht mehr bedient. Am Anfang des neuerlichen Zahlungsausfalls von Argentinien steht ein Urteil eines New Yorker Gerichts aus dem Jahr 2012, welches eine neue Interpretation der „pari passu“-Klausel in den Altprospekten bestätigte. Dieser Auslegung zufolge ist Argentinien gezwungen, bei jeder Zahlung an die Inhaber der Restrukturierungsanleihen auch die Besitzer der Holdout-Anleihen zu bedienen. Die Pari-passu-Klausel regelt normalerweise die legale Stellung einzelner Gläubiger in einer Liquidation. Tatsächlich ist der Sinn und Zweck dieser Klausel in Staatsanleiheprospekten sowohl unter Praktikern als auch unter Akademikern unklar [sic!], da souveräne Staaten de jure nicht liquidiert werden können. Diese Interpretationslücke und die besondere Ausformulierung der Klausel durch Argentiniens Anwälte nutzten nun die Kläger aus, um vor Gericht eine neue Interpretation durchzusetzen. Der Wortlaut der argentinischen Pari-passu-Klausel lautet wie folgt:
The Securities will constitute […] direct unconditional, unsecured and unsubordinated obligations of the Republic and shall at all times rank pari passu and without any preference among themselves. The payment obligations of the Republic under the Securities shall at all times rank at least equally with all its […] unsecured and unsubordinated External Indebtedness […]
Der erste Satz stellt die Standardform der Klausel dar und definiert den Status der Verbindlichkeit. Der darauf folgende Satz modifiziert die Klausel dann allerdings mit fataler Wirkung, indem neben dem Rang auch auf die konkrete Zahlungsverpflichtung des Landes verwiesen wird, welche zu jeder Zeit gleichermaßen gegenüber allen gleichrangigen Gläubigern gilt. Im Klartext: Bezahlt Argentinien eine Gruppe von Anleihegläubigern (die Restrukturierungsanleihen), dann müssen die Holdout-Halter ebenso pro rata bedient werden.
Dies führt zu der beschriebenen Situation, dass Argentinien seine Restrukturierungsanleihen nur noch dann bezahlen kann, wenn es auch die Holdouts bezahlt. Eine Umgehung dieses Urteils ist nicht ohne weiteres möglich, da Argentinien die Zahlungen an seine Gläubiger über New Yorker Zahlstellen abwickeln muss, und so die Holdouts ihren Anteil sofort pfänden lassen können. Zwar plant das Land aktuell eine Änderung der Bedingungen, um sich aus diesem Dilemma zu befreien, ob dies am Ende jedoch erfolgreich sein wird, darf bezweifelt werden.
Die Existenz dieser Holdout-Investoren nach einer Restrukturierung ist heutzutage keineswegs eine Selbstverständlichkeit: Seit 2003 enthalten nahezu alle international begebenen Anleihen „Collective Action Clauses“, die es einer vordefinierten Mehrheit von Anleihehaltern erlauben, für alle Halter bindend Änderungen der Anleihebedingungen durchzuführen. Dies macht es für Holdout-Investoren umso schwerer, eine blockierende Minderheit aufzubauen. Es gibt nur wenige Emittenten, die auch nach dem Jahr 2003 Staatsanleihen ohne Collective Action Clauses emittiert haben – darunter der Karibikstaat Jamaika. Die Überlegung der Verantwortlichen, in Kingston eine ungewöhnlich gläubigerfreundliche Ausgestaltung zu wählen, erscheint rätselhaft, insbesondere vor dem Hintergrund, dass sogar der Wortlaut der fraglichen argentinischen Version der Pari-passu-Klausel übernommen wurde. Dies setzt den Karibikstaat den gleichen Risiken aus, die Buenos Aires aktuell am eigenen Leib zu spüren bekommt.
Tatsächlich führte Jamaika in den Jahren 2010 und 2013 zwei Restrukturierungen seiner Staatsschulden durch – jedes Mal blieben allerdings die Anleihen mit den besonderen Klauseln außen vor. Restrukturiert wurden jeweils nur Verbindlichkeiten nach heimischem Recht. Offiziell hieß es, dass das Land seinen Zugang zu Auslandskrediten nicht aufgeben möchte. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass durch die „unglückliche“ Formulierung der relevanten Klauseln in den Anleiheprospekten und aufgrund der Erfahrungen in Argentinien in einer Restrukturierung dieser Anleihen ein erhebliches Risiko gesehen wurde. Wir erwarben Anfang des Jahres kurzlaufende Jamaika-Anleihen nach ausländischem Recht, welche von dieser Konstellation profitieren. Das Sentiment der Investoren bezüglich Jamaika hat sich im Laufe des Jahres erheblich verbessert: So fiel beispielsweise die Rendite der im Juni 2017 fälligen Anleihe von fast 8 % Anfang des Jahres auf ein Rekordtief von inzwischen 4,8 %. Das Land nutzte das gestiegene Vertrauen (oder schlicht die Renditesucht der Investoren?) und emittierte im Juli dieses Jahres eine elfjährige Anleihe mit einem Kupon von 7,625 % – noch Monate zuvor lag die Rendite dreijähriger Anleihen auf diesem Niveau. Wirklich bemerkenswert waren neben dem vergleichsweise niedrigen Kupon jedoch die Veränderungen im Prospekt, die im Vergleich zu früheren Emissionen vorgenommen wurden. So weist die neue 2025er Anleihe zum ersten Mal Collective Action Clauses auf und auch die Pari-passu-Klausel ist „harmloser“ ausgestaltet. Um sicher zu gehen, wird im Fließtext des Prospektes darauf hingewiesen, dass diese Pari-passu-Klausel nicht der Interpretation der New Yorker Gerichte entspricht. Was bedeutet dies für Halter der neuen 2025er Anleihe? Aus unserer Sicht fallen diese Investoren durch die Veränderungen in einen quasi nachrangigen Status gegenüber den anderen ausstehenden Anleihen des Landes nach New Yorker Recht. Falls eine weitere Restrukturierung der Staatsschulden notwendig wird, hat die Regierung in Kingston gegenüber den neuen Gläubigern die besseren Karten in der Hand. Was bei uns Kopfschütteln verursacht, ist die Tatsache, dass dieser eindeutige Nachteil aktuell scheinbar nicht eingepreist wird – die Rendite befindet sich im Einklang mit anderen juristisch sichereren Anleihen des Landes.
Es geht aber noch grotesker: Mitte Juni emittierte Ecuador zum ersten Mal seit langem wieder eine Anleihe an den internationalen Kapitalmärkten und sammelte zwei Milliarden US-Dollar ein. Diese Emission ist deshalb so bizarr, weil das Land noch 2008 unter demselben Präsidenten, Rafael Correa, die Zahlungen auf seine Auslandsschulden einstellte. Damals benutzte Quito den Vorwand, die bestehenden Schulden seien „illegal“. Dies wurde durch eine vom Präsidenten persönlich bestellte „unabhängige“ Kommission bestätigt, die unter anderem darauf verwies, dass die Emission von Staatsanleihen nach ausländischem Recht gegen heimische Gesetze verstößt. Selbstredend ist die Ausgabe von Staatsanleihen nach New Yorker oder englischem Recht unter Emerging Market-Staaten die Regel und keineswegs die Ausnahme, und Rafael Correas Aktion war damals reiner Populismus. Die gesparten Zinszahlungen sollten als Wahlgeschenk an die Bevölkerung zurückfließen. Den Kapitalmärkten scheint die zweifelhafte Glaubwürdigkeit der Regierung in Quito egal zu sein. Wie auch bei den neuen Jamaika-Anleihen schließen die Prospektbedingungen in Ecuador die für Argentinien verhängnisvolle Interpretation der Pari-passu-Klausel aus:
The Notes will be general, direct, unsecured, unsubordinated and unconditional obligations of Ecuador, will be backed by the full faith and credit of Ecuador and will rank equally in terms of priority with Ecuador’s External Indebtedness (other than Excluded Indebtedness), provided, that, such ranking is in terms of priority only and does not require that Ecuador make ratable payments on the Notes with payments made on its other External Indebtedness.
Die Anleihe enthält weitere, für den Gläubiger nachteilige, bemerkenswerte Klauseln, die nicht zum Standard-Repertoire gehören, wie zum Beispiel die Klausel zum anwendbaren Recht:
The Notes will be governed by the laws of the State of New York, except for the terms concerning submission to arbitration which will be governed by English law.
Die Anleihen unterliegen also nur so lange New Yorker Recht, wie es nicht zu einem Gerichtsprozess kommt. Dieser, so regelt eine weitere Klausel, ist nämlich ausgeschlossen, d.h. ein Streitfall wird ausschließlich vor einem Schiedsgericht nach englischem Recht verhandelt. Dies stellt aus unserer Sicht eine weitere deutliche Verschlechterung der Stellung der Gläubiger dar. Unseres Wissens ist dies ein Novum im Bereich der Staatsanleihen – und diese „Innovation“ wird ausgerechnet von einem Schuldner durchgesetzt, der alles andere als einen tadellosen Ruf genießt. Die möglichen Konsequenzen einer nachteiligen Entscheidung eines Schiedsgerichts gegen Ecuador erscheinen harmlos verglichen mit der Macht eines Gerichtsurteils in New York. Gerade der Prozess gegen Argentinien hat gezeigt, wie weitreichend die dortige Rechtsprechung auch für souveräne Staaten sein kann. Schwamm drüber: Ecuadors Neuemission stieg nach der Auflage direkt auf 105 %. Uns fehlen die Worte.Ältere Beiträge: