Gemeinhin verbindet man mit dem Beruf des Fondsmanagers die akribische Analyse von Bilanzkennzahlen, welche dann häufig ins Verhältnis zueinander oder zur vorliegenden Marktkapitalisierung gesetzt werden. Auch in unseren Präsentationen und Blogbeiträgen der letzten Jahre argumentierten wir häufig mit Kennzahlen. Dabei sind es bei langfristigen Unternehmensbeteiligungen für uns allerdings niemals Kennzahlen und Ratios alleine, die für eine Investmententscheidung ausschlaggebend sind. Wir verlassen uns auch nicht auf die Einschätzungen Dritter, investieren nicht passiv, aus weiter Ferne, wie ein ETF. Viel mehr tätigen wir unsere Analysearbeit zu einem erheblichen Teil vor Ort indem wir Manager treffen und uns von deren Integrität überzeugen, indem wir mit Mitarbeitern sprechen und die Unternehmenskultur und Anreizstrukturen kennenlernen oder indem wir Fabriken und Service-Center besuchen um uns von den Arbeitsbedingungen zu überzeugen. Wir treffen auch Konkurrenten und hören zu, wie diese über Wettbewerber sprechen, treffen nach Möglichkeit Zulieferer und Kunden um die Wertschöpfungskette und die Art und Intensität des Wettbewerbs zu verstehen.
Die letzte Meile: Aufwand, der sich lohnen kann
Die Realität unserer Tätigkeit, unseres Alltags sieht daher anders aus. Der kanadische Anbieter von Telekommunikations- und Internetdienstleistungen Tucows investiert seit mehreren Jahren in den Ausbau von Glasfasernetzen in amerikanischen Kleinststädten, Orten, die von den großen Internetzkonzernen beim Netzwerkausbau vernachlässigt wurden. Die Zukunft und das Wachstum des Unternehmens fußen größten Teils auf dem Erfolg oder Misserfolg des Glasfasergeschäftes, dessen korrekte Einschätzung und Bewertung ist somit unerlässlich. Im sogenannten Research Triangel, einer wachstumsstarken Region in North Carolina, baut das Unternehmen besonders viele Ortschaften aus. Nicolas besuchte die Region im April 2018 und machte sich gemeinsam mit dem Leiter des Glasfasergeschäftes ein Bild des Ausbaus. Im Januar 2020 traf Marc den City Manager der Region und überzeugte sich vom Fortschritt des Ausbaus und dem Zuspruch der Kundschaft. Wir konnten es kaum glauben als uns der City Manager berichtete, dass sich zwischen den beiden Besuchen von uns vor Ort im Jahr 2018 und 2020 kein anderer Investor ein Bild der Aktivitäten gemacht hatte. Eine weitere derartige Anekdote stammt aus Griechenland: Beim Kapitalmarkttag unserer langjährigen Beteiligung Thessaloniki Port im Jahr 2019 war neben uns nur ein weiterer Investor. Research vor Ort ermöglicht es immer wieder qualitative Einsichten zu gewinnen, über die nur sehr wenige Investoren verfügen.
Langfristig ist die Unternehmenskultur der bedeutendste Erfolgsfaktor
Einige bedeutende Erfolgsfaktoren lassen sich schwer in Zahlen ausdrücken. Es verrät beispielsweise viel über ein Unternehmen, ob sich der Unternehmenssitz in einem Wolkenkratzer im Stadtzentrum befindet oder direkt am Standort einer Fabrik oder eines wichtigen Distributionszentrums. Es gibt nicht wenige, die in der Verlegung der Boeing Konzernzentrale vom Produktionsstandort in Seattle nach Chicago im Jahr 2001, einen Auslöser für die gegenwärtige Krise um die Designfehler des 737 MAX Flugzeuges und den resultierenden Flugzeugabstürzen mit hunderten Todesopfern sehen. Mit dem Umzug des Unternehmenssitzes isolierte sich das Management von den Ingenieuren und der Fertigung vor Ort, was in der Folge den Weg für diverse Fehlentscheidungen ebnete. Es kann sehr lehrreich sein sich ein Bild vom Unternehmenssitz zu verschaffen: Wir besuchten 2016 den amerikanischen Distributor für Schrauben und anderer Verbindungsmittel Fastenal, einen Konkurrenten der deutschen Würth-Gruppe, in der entlegenen Konzernzentrale in Winona, Minnesota. Der Unternehmensgründer des Unternehmens Robert Kierlin war für seine Sparsamkeit bekannt und trug Berichten zufolge nur Second Hand Anzüge. Diese Kultur prägt das Unternehmen bis heute: Fastenal arbeitet effizienter als die meisten Konkurrenten. Vor Ort konnten wir uns ein Bild der spartanischen Zentrale verschaffen, welche direkt neben einem großen Distributionszentrum des Unternehmens gelegen ist. Vor dem am nähesten zum Eingang gelegenen Parkplatz fanden wir folgendes Schild vor:
Die Sparkultur von Fastenal ist übrigens keinesfalls mit der von Ryanair oder Schlecker zu vergleichen wo es Anhaltspunkte für nicht nachhaltige Arbeitsbedingungen gibt. Fast jeder Mitarbeiter, den wir trafen, war bereits seit mehreren Jahrzehnten im Unternehmen beschäftigt – eine für die USA durchaus ungewöhnliche Beschäftigungsdauer. Die Mitarbeiter schwärmten in höchsten Tönen von der Freiheit eigenverantwortlich und unternehmerisch gestalten zu können, welche die dezentrale Unternehmenskultur von Fastenal ermöglicht. Bei der zuvor erwähnten Tucows ist es ganz ähnlich. Ein Mitarbeiter berichtete uns, dass Tucows der erste Arbeitgeber sei, bei welchem er das Hemd mit dem Unternehmenslogo mit Stolz auch zum Football am Wochenende tragen würde. Es fallen natürlich nicht nur positive Dinge auf. Vor einigen Jahren besuchten wir das neue BMW Autonomous Driving Center außerhalb von München. Ein grauer Betonklotz, der so gar nicht aussah als ob hier die kreativsten Köpfe Europas arbeiten möchten. Der Besuch zeugte von der Halbherzigkeit, mit der die deutsche Automobilindustrie den größten Mobilitätswandel seit der Erfindung des Verbrennungsmotors beschreitet. Es sind solche Details, die einzeln betrachtet wenig Aussagekraft aufweisen bei der Betrachtung des großen Ganzen sehr viel über die Unternehmenskultur und daraus entstehende Wettbewerbsvorteile verraten können.
Herausragende Unternehmerpersönlichkeiten lernt man nicht auf Konferenzen kennen
Letztlich muss eine gute Unternehmenskultur vom Management geprägt und vorgelebt werden. Wenn der Vertriebsleiter eines schwedischen Distributors beim Besuch einer Filiale mit uns 500 Meter vom Eingang weg parkt „weil die Parkplätze für die Kunden sind“ dann kann das ein interessantes Signal sein wie kundenfokussiert das Unternehmen denkt. Wenn der Geschäftsführer eines Unternehmens zur Beantwortung einer Frage kurzerhand einen Bereichsleiter dazu holt oder sich während eines Gesprächs mit uns Notizen zu möglichen Verbesserungspotenzialen macht, zeugt dies ebenso von Unternehmergeist. Und natürlich ist es immer interessant zu sehen wie der Vorstand mit Fabrikmitarbeitern bei einem Rundgang umgeht (kennt er die Namen einzelner Mitarbeiter?). Derartige Beobachtungen macht man aber nicht auf Konferenzen, sondern nur wenn man das Management in deren Wohlfühlzone vor Ort tritt. Wir suchen Manager, die Ihr Unternehmen mit Integrität und Leidenschaft führen und denen bewusst ist, dass man nur mit zufriedenen Stakeholdern erfolgreich sein kann.
Das „S“ und das „G“ in ESG Kriterien lassen sich ohne einen Unternehmensbesuch vor Ort nur unzureichend analysieren
Wie wir in einem früheren Blogbeitrag bereits dargelegt hatten, verlassen wir uns bei der Einschätzung von Nachhaltigkeitskriterien (ESG-Kriterien), ähnlich zu unserem Vorgehen bei Anleihen, nicht auf Ratings. Die Kriterien der Ratingagenturen sind in der Regel intransparent und die resultierenden Ratings kommen häufig zu sehr unterschiedlichen Einschätzungen. Für uns ist klar:
Langfristiges, konzentriertes Investieren ist untrennbar mit nachhaltigem, moralisch korrektem Unternehmertum verbunden. Nur Unternehmen die langfristig überhaupt bestehen können, qualifizieren sich für eine Beteiligung.
Von wesentlichen ESG-Faktoren, wie etwa den Arbeits- und Sicherheitsbedingungen, kann man sich am besten durch einen Unternehmensbesuch ein Bild verschaffen. So besuchten wir neben Terminen mit dem Management des australischen Mobilfunkanbieters Amaysim vor Ort in Sydney auch dessen Call-Center auf den Philippinen. Mitarbeiter kommen dort auf 25 Tage Urlaubsanspruch, ein Vielfaches des gesetzlich vorgeschriebenen Minimums. Daneben übernimmt das Unternehmen die Kosten einer Krankenversicherung für zwei Familienmitglieder. Insgesamt waren die Arbeitsbedingungen in Manila hervorragend. Wie im erwähnten Blogbeitrag dargelegt wird beim Chemiedistributor Brenntag jeder Unfall, der einen ausgefallenen Arbeitstag eines der 15.000 Mitarbeiter zur Folge hat, auf allerhöchster Ebene im Vorstand des Unternehmens thematisiert. Das Unternehmen hat einen rigorosen Fokus auf Sicherheit – derartige Dinge erfährt man eher auf einer Taxifahrt mit einem Investors Relations Mitarbeiter als während eines eng getakteten Telefonats vom eigenen Schreibtisch.
Wer nur vom eigenen Schreibtischstuhl arbeitet, verpasst möglicherweise was langfristig wirklich wesentlich ist
Hohe Aktienrückkäufe machen noch keinen guten Kapitalallokator, ein niedriger Mitarbeiterumschlag zeugt nicht automatisch von zufriedenen Mitarbeitern und viele Unternehmensstandorte belegen nicht gleich eine dezentrale Unternehmensführung. Die Analyse von quantitativen Faktoren greift darum häufig zu kurz. Für uns sind qualitative Eindrücke vor Ort unerlässlich, um uns von der Integrität des Managements und der Unternehmenskultur in all seinen Facetten ein Bild zu verschaffen. Oder würden Sie ein ganzes Unternehmen kaufen, ohne jemals dort gewesen zu sein?