Die Krise als Chance: Unternehmer­persönlichkeiten und Optionalität

Die COVID-19-Krise setzt viele Negativrekorde: 39 Millionen neue Arbeitslose in den USA binnen zwei Monaten, den steilsten Einbruch an den Aktienmärkten seit 1929 und rekordhohe Defizite der Staatshaushalte weltweit, von der humanitären Katastrophe ganz zu schweigen.

Doch mitten in diesem Sturm bieten sich auch Chancen, denn einige Unternehmen werden zu wahren Krisengewinnern. Dazu braucht es aus unserer Sicht zwei Zutaten: Eine echte Unternehmerpersönlichkeit an der Spitze beziehungsweise eine Unternehmenskultur, die Krisen als Chancen aufgreift, sowie eine hervorragende Finanzausstattung, die es der Organisation nun auch ermöglicht, Risiken einzugehen und Marktanteile zu gewinnen. Auf eben diese antifragilen Unternehmen, geführt von wahren Eigentümern mit einer starken Bilanz, welche gestärkt aus der Krise hervorgehen werden, hatten wir das Portfolio im März und April 2020 noch weiter ausgerichtet. John D. Rockefeller formulierte den Ansatz einst wie folgt:

“I always tried to turn every disaster into an opportunity”

– John D. Rockefeller

In den Gesprächen und Telefonkonferenzen mit den Management-Teams unserer Portfoliounternehmen nach den Zahlen zum ersten Quartal verdeutlicht sich genau diese Schere zwischen den Unternehmen, die die aktuelle Phase nun aktiv nutzen und denen, die sie aussitzen oder nur überstehen wollen. Dies wird erkenntlich an Taten wie in Zahlen.

Wein: Wandel von Offline zu Online

Die COVID-19-Krise hat einige bereits bestehende Trends des digitalen Wandels „über Nacht“ erheblich beschleunigt, sei es durch Software für die Arbeit aus dem Home Office oder den Online- Einkauf von Lebensmitteln. Einer der Profiteure ist Naked Wines. Das Unternehmen betreibt einen Online-Marktplatz für Wein und verbindet mehr als 200 unabhängige Winzer mit Endkunden in den USA, Großbritannien und Australien. In den USA ist Naked Wines damit der größte sogenannte „Direct-to-Consumer“ Wein-Anbieter. Aus finanzieller Sicht ging das Unternehmen aus einer Position der Stärke in die COVID-19-Krise: Die Marktkapitalisierung von rund 165 Mio. £ beinhaltete zu Jahresbeginn rund 50 Mio. £ an Nettokasse. Seit dem Beginn der Krise hat das Unternehmen einen deutlichen Nachfrageanstieg zu verzeichnen und stellt – bei bislang weltweit 150 Mitarbeitern – aktuell allein in den USA 80 neue Mitarbeiter ein. Das Unternehmen befand sich zuvor bereits im Investitionsmodus, der sich nun nochmals beschleunigt. Der Online-Anteil von Weinverkäufen in den USA stieg während der Krise von 7 % auf rund 30 %. Der privat gehaltene Konkurrent Wine.com verbuchte im April ein Umsatzplus von 350 %, während der nächstgrößte Konkurrent, Winc, zwischen März und April 2020 einen Anstieg bei den Neukunden von rund 800 % verzeichnete. Die genauen Zahlen für Naked Wines werden im Juni 2020 veröffentlicht. Neben dem Gründer Rowan Gormley zählt der ProfitlichSchmidlin Fonds zu den größten Aktionären des Unternehmens.

Immobiliensuche im Netz: Bereits zurück auf alten Höchstständen

Ende März 2020 erhöhten wir unsere Position in Scout24, dem Anbieter des größten deutschen Immobilienportals, nahe an die Maximalgewichtung im Fonds. Die Aktie des Unternehmens wurde zuerst mit dem Gesamtmarkt stark abverkauft, wodurch die Marktkapitalisierung von 6,7 Mrd. € auf unter 4,7 Mrd. € fiel. Das Kuriose daran: Das Unternehmen hatte kurz zuvor sein AutoScout24-Geschäft für 2,9 Mrd. € veräußert, wodurch ein erheblicher Teil der Marktbewertung aus einer Nettokasseposition bestand. Gleichzeitig ist das Kerngeschäft bisher kaum von der COVID-19-Krise betroffen: Der Gewinn konnte im ersten Quartal 2020 um rund 15 % gesteigert werden und Scout24 hob sich positiv vom Markt ab, indem proaktiv allen Makler-Kunden ein Maßnahmenpaket zur Verfügung gestellt wurde, das beispielsweise Gratis-Listings auf der Plattform und eine Stundung der monatlichen Gebühren umfasste. Es ist davon auszugehen, dass Scout24 dadurch seinen Abstand auf die deutlich kleineren Konkurrenten im deutschen Markt ausbauen wird. Die Nutzung der Immobilienplattform ist bereits zurück auf Vorkrisenniveau:

“So, on the activity level, we’ve seen really good growth rates bounce to basically pre-COVID levels, whether it’s on the user sessions, also listings, obviously, we’ve seen quite a bit of growth, also supported through our activities on the free list initiatives. So everything is trending really upward and positively.

– Scout24 CEO Tobias Hartmann im Conference Call zum ersten Quartal 2020

Aber nicht nur bei der Behandlung seiner Kunden sticht Scout24 positiv heraus. Das Unternehmen weist außerdem eine sehr effiziente Kapitalallokation auf. Während die meisten Unternehmen aktuell ihre Dividenden streichen und Aktienrückkäufe aussetzen, allokiert Scout24 nun mehrere Milliarden in den Rückkauf eigener Aktien und kann so das volatile Umfeld nutzen.

Betreiber von Netzinfrastruktur als Gewinner der Krise

Aber nicht nur die direkten Anbieter digitaler Lösungen zählen zu den Gewinnern, sondern auch die Anbieter der zugrundeliegenden Netzinfrastruktur. Die in Kanada beheimatete Tucows ist einer der größten Domain-Registrare der Welt und bietet außerdem unter anderem Glasfaserinternet in US-amerikanischen Kleinstädten an. Das Unternehmen spürt daher aktuell Rückenwind:

“The domains business has seen the most remarkable immediate impact, which will not really show up until the second quarter. New domain registrations are way up in the past month or so. We are seeing first-hand the rush for offline businesses to market, transact and fulfil online. We are seeing years of economic transformation jammed into weeks or months.

– Tucows CEO Elliot Noss im Conference Call zum ersten Quartal 2020

CEO und Miteigentümer Elliot Noss verwendete eine bemerkenswerte Sprache während der Präsentation der Zahlen zum ersten Quartal:

“In 2000, and in 2008, we were working and struggling to survive. Not now. Now, all three of our businesses have the wind at their back through the pandemic.[…] We have much of our competition – particularly those with much broader business portfolios – on their heels. If they are on their heels, perhaps we can be on our toes.

– Tucows CEO Elliot Noss im Conference Call zum ersten Quartal 2020

Dies ist genau die Art von Unternehmen, die in einer solchen Krise aufblühen und aus dieser gestärkt hervorgehen werden.

Die Chancen beim Schopf packen

Auch außerhalb der direkten digitalen Gewinner gibt es Unternehmen, die von der Krise profitieren könnten. Dies trifft insbesondere auf Unternehmen zu, die zersplitterte Märkte durch Übernahmen konsolidieren. Beijer Ref ist der größte Distributor von Kühlsystemen weltweit und wächst seit Jahrzehnten organisch durch den Trend zu klimafreundlicheren Lösungen sowie anorganisch durch Übernahmen kleinerer Konkurrenten. Das durch den Mitinhaber Per Bertland geführte Unternehmen machte im Conference Call zum ersten Quartal klar, dass es in dieser Krise eine große Chance sieht:

„But there are also […] some opportunities during these circumstances. We know that there are many, many players on the market who suffer a lot and we have already been contacted by people who want to join the Beijer Ref Group.[…] Looking back to the history, after a crisis, there are always coming up opportunities and structural changes in the market that as the biggest player in Europe and maybe the biggest player in the word, should be an opportunity for us to improve our business[…].”

– Beijer Ref CEO Per Bertland im Conference Call zum ersten Quartal 2020

Das Unternehmen hat bereits die vergangenen Rezessionen genutzt, um gezielt größere Übernahmen zu tätigen und das Unternehmen nach vorne zu bringen:

“But we also benefited from the crisis, both in 2002 and 2004, we could do acquisitions that were maybe not possible to do before the crisis, but we can do it right now. So therefore, we can see even if it’s tough times and hard times right now, we could see that opportunities are coming up in the future for structural change.

– Beijer Ref CEO Per Bertland im Conference Call zum ersten Quartal 2020

Genau diese antizyklische Kapitalallokation vermissen wir leider bei den meisten Unternehmen, insbesondere jenen, die von Managern ohne signifikante Beteiligung am Unternehmen geleitet werden.

Digitaler Wandel, wo man ihn nicht unbedingt erwartet

Ferguson ist der führende Distributor von professionellem Klempner- und Handwerkerbedarf in den USA. Das Geschäft hat sich bisher ebenfalls als relativ widerstandsfähig erwiesen: Während die Aktie sich bis zum Tiefpunkt nahezu halbierte, wies das Unternehmen für sein am 30. April 2020 geendetes drittes Fiskalquartal im Kernmarkt USA ein Umsatzwachstumvon 1,9 % auf. Der Monat April war dabei durch die starken Restriktionen in vielen US-Bundesstaaten mit -9,3 % beim Umsatz zwar negativ betroffen, fiel damit aber deutlich geringer aus als von vielen Analysten erwartet und im Mai besserte sich das Bild bereits. Ursächlich dafür ist die eCommerce-Plattform des Unternehmens, die bereits vor einigen Jahren ausgerollt wurde und nun zu Marktanteilsgewinnen führt. Durch die COVID-19-bedingten Restriktionen konnten nur 40 % der Niederlassungen normal betrieben werden, Kunden durften die verbleibenden Niederlassungen nicht betreten, sondern konnten die Produkte nur direkt zu den Endkunden (auf die Baustellen oder zu den Häusern) liefern oder vor dem Geschäft abholen lassen. Dies war relativ problemlos möglich, da das Unternehmen über die mit Abstand am weitesten entwickelte digitale Plattform in der Branche verfügt. So konnten rund die Hälfte der Vertriebsmitarbeiter von zu Hause arbeiten, während sich fünfmal so viele Kunden für das eCommerce-Angebot des Unternehmens anmeldeten wie normalerweise in dieser Jahreszeit. Die Kundenaktivität nahm online um 50 % zu. Des einen Freud ist des anderen Leid könnte man allerdings sagen: Die meisten kleineren Konkurrenten von Ferguson verfügen über keine oder nur rudimentäre eCommerce-Lösungen. Dies war in normalen Zeiten noch zu verschmerzen, führt nun aber zu einer Abwanderung der Kunden hin zu Ferguson. CEO Kevin Murphy beschreibt im Conference Call die Vorteile der eigens für die Klempner- und Handwerkerkunden entwickelten Plattform:

“They can use the Ferguson SKU app, which allows their mobile phone to scan barcodes from our counter and seamlessly create a shopping cart and begin to check out. We’ve embedded our truck delivery tracking software into the platform, it allows our customers to track their delivery truck in real time, which is a real game changer for us.We launched our shop by job feature, it allows customers to search for products by a job versus by individual product. This cuts down on their time navigating the app and allows them to select the right products for that project.

We added a text to branch service for those customers that need to add instructions for their orders, their pickups and their deliveries. And we continue to add content, digital content for thousands of different products across all of our businesses that we serve giving us the widest and deepest breath of product inventory and product visibility in our industry. As we think about the longer-term strategy, technology remains a key differentiator. And we will continue to develop and invest in e-business digital solutions that will set us apart and set us up well for the future.

– Ferguson CEO Kevin Murphy im Conference Call zum dritten Quartal 2020 (endet 30.04.2020)

Wie zu sehen ist, können auch Unternehmen aus eher alteingesessenen Branchen im aktuellen Umfeld durch Investitionen in digitale Angebote Marktanteile gewinnen. Die COVID-19-Krise beschleunigt nun diese Trends, die zugrundeliegend bereits die letzten Jahre gewirkt haben.

Um die Krise unbeschadet zu überstehen, ist eine starke Finanzkraft erforderlich. Geführt von Eigentümern, die in der Krise eine Chance sehen, organisch oder anorganisch Marktanteile auszubauen, werden diese Unternehmen antifragil und könnten so nicht nur unbeschadet, sondern gestärkt aus der Krise hervorgehen.  Auf eben diese Unternehmen konzentrieren wir uns.