Am 12. Mai 2015 verkündete Vivendi ein Übernahmeangebot für die noch ausstehenden Aktien seiner Tochter Société d’Edition de Canal Plus. Wir entschlossen uns, das Angebot für die von uns gehaltenen Aktien anzunehmen. Die Fallstudie zu dieser Investition soll vor allem zwei Aspekte unserer Denkweise veranschaulichen:
- Fundamentales Risiko ist nicht zu verwechseln mit Kursschwankungen
- Die Einordnung von Wertpapieren nach Assetklassen lässt nicht immer sinnvolle Rückschlüsse auf das fundamentale Risiko der zugrundeliegenden Aktie oder Anleihe zu
Aber der Reihe nach:
Bis 2008 war es einzelnen Aktionären in Frankreich verboten, Fernsehsender mit einer Reichweite von über 2,5 % zu kontrollieren, das heißt in diesem Fall, an diesen mehr als 49 % zu besitzen. Um diese regulatorische Vorschrift bei der Akquisition der Canal Plus-Gruppe durch Vivendi im Jahr 2000 zu umgehen, übernahm das Medienkonglomerat zwar alle Vermögenswerte des Fernsehsenders, die Fernsehübertragungslizenzen verblieben jedoch in einer separaten Hülle (im Folgenden als SECP bezeichnet), an der Vivendi lediglich mit 48,5 % beteiligt ist.
Zwischen SECP und der übergeordneten Canal Plus-Gruppe wurde im Jahr 2000 ein Vertrag mit einer Laufzeit von 50 Jahren geschlossen, dem zufolge Canal Plus 3,3 % der Beitragsumsätze an SECP weiterreicht. Diese Lizenzzahlungen stellen die einzigen Einnahmen von SECP dar. Zusätzlich zu diesem festgelegten Anteil an den Beitragsumsätzen garantiert die Canal Plus-Gruppe der Vereinbarung der beiden Unternehmen zufolge SECP ein operatives Mindestergebnis in Höhe von mindestens 47 Mio. €, maximal jedoch 53 Mio. € pro Jahr. Weiterhin ist vorgesehen, dass diese Ober- und Untergrenze pro Jahr um 2,5 % steigt. Für das Jahr 2013 betrug die Untergrenze demzufolge 63 Mio. €.
Die finanziellen Nachteile dieser Struktur
Diese Konstruktion geht für die Canal Plus-Gruppe und deren Muttergesellschaft Vivendi mit zahlreichen Nachteilen einher. Erstens erschwert die Struktur eine effiziente Kapitalallokation dadurch, dass Canal Plus nicht auf die Zahlungsströme und die sich im Unternehmen SECP befindlichen Zahlungsmittel zugreifen kann – zum Ende des ersten Halbjahres 2014 wies SECP Nettozahlungsmittel je Aktie in Höhe von annähernd einem Fünftel der Marktkapitalisierung auf. Zweitens stellen die durch den Vertrag garantierten Mindesteinnahmen von SECP eine potenzielle Quersubventionierung dar, sollte der Mindestgewinn aufgrund der Entwicklung der Kostenbasis nicht erreicht werden. Der Vertrag kann für die Canal Plus-Gruppe also teuer werden. Letztlich verlieren die im Streubesitz befindlichen Aktien eine wesentliche Eigenschaft von Eigenkapital: Durch den per Vertrag geregelten fixen und jährlich ansteigenden garantierten Gewinn von SECP weist die Aktie de facto eher einen Anleihecharakter auf – mit den entsprechenden Konsequenzen für den „Emittenten“. Es wird deutlich, dass diese Konstruktion für Vivendi potenziell teuer ist und zu Ineffizienzen führt.
Bewertung der Anleihe im Aktienkleid
Seit mehreren Jahren reicht die Ertragskraft von SECP tatsächlich nicht mehr über den garantierten operativen Gewinn hinaus, wodurch effektiv eine Quersubventionierung der SECP-Aktionäre durch Vivendi stattfindet. Für die nachfolgenden Kalkulationen rechnen wir vorsichtig nur mit dem Mindestgewinn, auch wenn es in Zukunft denkbar ist, dass SECP wieder mehr als dieses Mindestniveau erwirtschaften könnte. Wie eingangs angedeutet, wurde das französische Gesetz, welches diese komplizierte Struktur erforderlich machte, im Jahr 2008 entschärft, wodurch diese komplexe Struktur nicht mehr notwendig ist. Seitdem hat Vivendi beziehungsweise Canal Plus prinzipiell die Möglichkeit, SECP vollständig zu übernehmen und die Minderheitsaktionäre herauszukaufen. Tatsächlich vereinfachte Vivendi die Gruppenstruktur bereits 2013 durch den Kauf der noch nicht im Gruppenbesitz befindlichen 20 % an Canal+ France für 1,0 Mrd. € von Lagardère. Nach der Komplettübernahme der Muttergesellschaft Canal+ France und dem Wegfall der regulatorischen Hürden war eine vollständige Übernahme von SECP durch die Canal Plus-Gruppe beziehungsweise durch Vivendi aus unserer Sicht naheliegend, wie wir auch bereits im dritten Quartalsbericht 2014 dargelegt hatten.
Es stellt sich zunächst die Frage nach der „fairen“ Rendite eines derartigen Wertpapiers. Aufgrund der Tatsache, dass der operative Gewinn des Unternehmens bis 2050 durch Vivendi garantiert ist, kommt ein Vergleich mit den langfristigen Fremdkapitalkosten des Unternehmens in Betracht. Insbesondere seitdem Chairman Vincent Bollore Vivendi lenkt und mit Nachdruck Vermögenswerte des Unternehmens liquidiert, haben sich die Fremdkapitalkosten des Unternehmens reduziert:
Die 10-jährigen CDS-Spreads von Vivendi – ein Indikator für die Kosten einer Kreditausfallversicherung – haben sich seit dem Einstieg von Vincent Bollore bereits merklich reduziert. Im Juni 2014 betrug die Rendite einer fünfjährigen Anleihe von Vivendi 1,4 %. Das Rating des Unternehmens wurde zu dieser Zeit sowohl von Moody’s als auch von Standard & Poors mit BBB angegeben. Im Juni 2014 betrug die Rendite 30-jähriger Anleihen von Emittenten mit einem BBB-Rating 3,8 %. Dieses Kreditrating reflektiert aus unserer Sicht die durch diverse Unternehmensverkäufe herbeigeführte starke Verbesserung der Verschuldungssituation von Vivendi jedoch nicht einmal ansatzweise. Tatsächlich war Vivendi nach dem Verkauf des Kabelnetzbetreibers SFR bereits ab April 2014 quasi schuldenfrei. Angemerkt werden muss an dieser Stelle jedoch auch, dass es sich hierbei um die Fremdkapitalkosten von Senior-Anleihen handelt. Zwar ist der Mindestgewinn vertraglich festgelegt, es besteht für den Investor jedoch durchaus Unsicherheit hinsichtlich der Ausschüttungsquote von SECP, wodurch argumentiert werden kann, dass die Aktie durchaus auch Charakteristika eines Hybridinstruments aufweist.
Im Juni 2014 notierte die Aktie von SECP bei 6,10 €. Welche Eigenkapitalkosten implizierte nun also diese Marktbewertung?
Geschäftsjahr 2013 | |
Operatives Ergebnis (garantiert) | 63 Mio. € |
Finanzergebnis | 0 Mio. € |
Steueraufwand (35 %) | 22 Mio. € |
Jahresüberschuss | 41 Mio. € |
Ergebnis je Aktie | 0,32 € |
Dividende je Aktie bei 75 % Ausschüttung | 0,24 € |
Mit einem einstufigen Dividendendiskontmodell lässt sich herleiten, welche Verzinsung der Kapitalmarkt bei einem Aktienkurs von 6,10 € einpreist. Dank der garantierten Gewinne sind dafür nur wenige Annahmen nötig:
Wobei D die Dividende für das Jahr 2013 ist, r die angesetzten Eigenkapitalkosten und g die langfristige Wachstumsrate widerspiegelt. Durch Einsetzen und Umstellen ergeben sich folgende implizite Eigenkapitalkosten:
Dieser im Aktienkurs implizierte Diskontsatz vernachlässigt, dass der thesaurierte Gewinnanteil in Höhe von 25 % ebenfalls den Aktionären zusteht und etwa für steigende Gewinne oder im Falle einer Liquidation für zusätzliche Auszahlungen sorgen könnte. Jedoch liegt diesem Modell auch die Annahme zugrunde, dass die vertraglichen Bedingungen unendlich lange, anstatt, wie vereinbart, zunächst nur bis 2050 zu erfüllen sind. Durch den geringen Barwert der Zahlungsströme nach 2050 und die angeführten konservativen Annahmen offenbart sich allerdings eine große Diskrepanz zwischen den langfristigen Refinanzierungskosten von Vivendi zwischen 1,4 % und 3,8 % und den im Aktienkurs von SECP implizierten Eigenkapitalkosten von 6,4 %. Es kann festgehalten werden, dass eine durch Fremdkapital finanzierte Übernahme der im Streubesitz befindlichen SECP-Aktien für Vivendi Kosten in Form der jährlich an die SECP-Aktionäre zu zahlenden Dividenden reduzieren würde. Vivendi hat also einen starken Anreiz, sich dieser teuren und ineffizienten Gesellschaftsstruktur zu entledigen.
Im Folgenden wird das Unternehmen durch Abzinsung der zukünftigen Zahlungsströme zu unserem Kaufzeitpunkt Mitte 2014 bewertet. Das Modell basiert auf der Annahme eines vertraglich garantierten Gewinnanstiegs in Höhe von 2,5 % pro Jahr, einer konstanten Steuerquote und einer unveränderten Kapitalstruktur. Zum Ende der Vertragslaufzeit im Jahr 2050 setzen wir den Liquidationswert an und zinsen diesen auf unseren Einstiegszeitpunkt ab. Auf Basis dieser Annahmen ergeben sich folgende Unternehmenswerte je Aktie für SECP:
Der Werttreiber: Vincent Bollore
Mit dem Einstieg von Vincent Bollore bei Vivendi wurde, wie bereits in unseren Quartalsberichten an mehreren Stellen dargelegt, ein umfangreicher Konsolidierungsprozess angestoßen. Bollore verkaufte in den letzten Jahren einen substanziellen Teil der Vermögenswerte des Konglomerates und übernahm an anderen Stellen Minderheitsbeteiligungen vollständig, um Synergien zu heben und das vorhandene Kapital sinnvoller zu allokieren. Bollore greift bei Vivendi mit einer beachtlichen Geschwindigkeit und Konsequenz durch und treibt so die Konsolidierung mit Nachdruck voran. Die schiere Zahl der Unternehmenskäufe und ‑verkäufe, die der Franzose im Jahr 2014 angestoßen hat, ließ uns nicht daran zweifeln, dass er auch die Canal Plus-Gruppe in seinen Konsolidierungsbemühungen berücksichtigen würde. Wir bauten unmittelbar nach seiner Ernennung zum Chairman von Vivendi im Juni 2014 eine Beteiligung an SECP zu einem durchschnittlichen Kurs von 6,03 € je Aktie auf. Unsere Einschätzung bestätigte sich, als Vivendi am 12. Mai 2015 ein Angebot in Höhe von 7,60 € je Aktie an die ausstehenden SECP-Aktionäre tätigte. Angesichts der heutigen Refinanzierungskonditionen von Vivendi und einer derzeitigen, aber jährlich um 2,5 % steigenden Dividendenrendite von 3,3 % auf den Übernahmepreis der SECP-Aktie ist diese Transaktion für Vivendi als ausgesprochen attraktiv zu bezeichnen. Wir veräußerten unsere Aktien im Hinblick auf die hohen Erfolgsaussichten des Angebots und die potenziell sinkende Liquidität der Aktie nach Ablauf des Angebots. Auf unseren durchschnittlichen Kaufpreis konnten wir einen Ertrag inklusive Dividendenerträgen von 30,5 % erzielen. Angesichts des außerordentlich geringen „Emittentenrisikos“ dieser Anleihe im Aktienkleid und des absehbaren Werttreibers durch die rigorosen Restrukturierungsbemühungen Bollores wies diese Investition ein sehr attraktives Chance-Risikoverhältnis auf. Eine Aktie kann durchaus ein anleiheähnliches fundamentales Risiko aufweisen, wie dieses Beispiel veranschaulicht.