In unserem letzten Blog-Beitrag sind wir auf die Qualität von ESG-Ratings und die Messbarkeit von ESG-Kriterien eingegangen. Wie dort für den „Environmental“-Faktor aufgezeigt wurde, kann beispielsweise das reine Abstellen auf den CO2-Abdruck eines Unternehmens zu kurz greifen oder gar die Unternehmen abstrafen, die ausdrücklich in die Reduktion von Emissionen investieren.
Governance- und soziale Faktoren sind nicht immer objektiv messbar
Ein ähnliches Problem ergibt sich auch bei den „Governance“- und „Social“-Einflussfaktoren – beide sind zum Teil nicht objektiv messbar und daher auch nicht in einem allgemeinen ESG-Scoring abbildbar. In der Tat ist es so, dass einige Attribute, die wir als langfristige und unternehmerisch orientierte Investoren aktiv suchen, teilweise als negativ eingestuft werden. Ein Beispiel ist hier die Betriebszugehörigkeit. In aller Regel erachten wir eine lange Betriebszugehörigkeit und einen geringen Personalumschlag als positives Signal. Ein Blick hierzu auf die fünf größten Positionen im ProfitlichSchmidlin Fonds:
- Elliot Noss ist seit 1999 CEO von Tucows und zählt zu den größten Aktionären des Unternehmens.
- Eduardo Padilla führt Femsa als CEO seit 2018 und ist seit 1997 in leitenden Funktionen im Unternehmen. Chairman José Antonio Fernández ist seit 1988 im Unternehmen.
- Berkshire Hathaway wird bekanntlich seit 1965 von Warren Buffett und Charlie Munger geführt.
- Ferguson, die derzeit viertgrößte Position im Fonds, wird von Kevin Murphy geführt, der bereits seit 1999 im Unternehmen tätig ist, nachdem sein Familienunternehmen von Ferguson übernommen wurde.
- Satya Nadella ist bereits seit sieben Jahren CEO von Microsoft und arbeitet seit 1992 im Unternehmen.
Hieraus ergibt sich ein klares Bild: Alle Unternehmen zeichnen sich durch sehr lange Betriebszugehörigkeiten ihres Managements und hohe Mitarbeiterbindung aus, die häufig auch mit hohen, über die Zeit aufgebauten Beteiligungen des Management am Unternehmen einhergehen. Diese aus der Sicht von langfristigen Investoren unzweifelhaft vorteilhaften Eigenschaften schlagen sich jedoch nicht immer vorteilhaft in der „Governance“-Bewertung der ESG-Ratingagenturen nieder. Geringer Personalwechsel im Board wird als mangelhafte Unabhängigkeit ausgelegt. Institutionelle Stimmrechtsberater (Proxy Advisors) votieren oft grundsätzlich gegen langjährig erprobte oder zu alte Boardmitglieder – wirtschaftlicher Unsinn, der einem zu starren, zu allgemeinen Regelwerk entstammt. Gut gemeint sind diese Regeln vielleicht, aber schlecht gemacht, denn durch dieses Regelwerk werden die echten Vollblutunternehmer ausgebremst. Als Warren Buffett 65 Jahre alt wurde, stand die Berkshire Hathaway A-Aktie bei rund 30.000 $, heute steht der Kurs bei etwa 395.000 $. Nicht auszumalen, wäre Buffett der Empfehlung gefolgt und mit 65 Jahren aus dem Vorstand ausgeschieden. Wir sind dankbar, dass sich das Unternehmen nicht dem Druck nach mehr „Unabhängigkeit“ gebeugt hat. Der Punkt ist: Für das durchschnittliche Unternehmen mögen viele der Governance-Richtlinien sinnvoll sein, für die wahrhaft außergewöhnlichen Unternehmen sind diese Einschränkungen jedoch oft kontraproduktiv – und wir investieren in außergewöhnliche Unternehmen und Unternehmer.
Wir messen Unternehmen an deren Handeln, nicht an Versprechen
Dieser qualitative Ansatz gilt noch weitaus mehr für die soziale Komponente. Gerade in Krisenzeiten zeigt sich, welches Unternehmen sich wirklich nachhaltig verhält: Bespielhaft hat sich aus unserer Sicht die mexikanische Femsa während der COVID-19-Krise verhalten. Das Unternehmen betreibt unter der Marke Oxxo die mit Abstand größte Kette von Convenience Stores in Mexiko. Der Leitspruch des Unternehmens lautet:
FEMSA is a company that creates economic and social value through companies and institutions and strives to be the best employer and neighbor to the communities in which it operates.
Dies ist kein leeres Versprechen, wie die COVID-Krise zeigt: Femsa erlaubte 25.000 seiner Mitarbeiter, die zu Risikogruppen gehören, während der COVID-Krise zu Hause zu bleiben, und verzichtete auf Entlassungen – kein selbstverständliches Verhalten in einem Schwellenland und ein deutliches Zeichen, dass das Unternehmen in Generationen statt in Quartalen denkt. Auch außerhalb der Krise ist das Unternehmen sozial engagiert: So gründete Femsa eine der führenden Universitäten des Landes (ITESM in Monterrey) und unterstützt die Institution mit umfangreichen jährlichen Spenden. Dies ist selbstverständlich kein Selbstzweck: Die nicht entlassenen Mitarbeiter müssen später nicht wieder neu eingestellt und trainiert werden und die Universität bildet die zukünftigen Femsa-Mitarbeiter und -Manager aus. Aber diese Symbiose zeigt, dass soziales Engagement und gutes Wirtschaften Hand in Hand gehen.
Eine weitere Beteiligungen in unserem Portfolio ist Naked Wines. Der Online-Weinhändler richtete während der COVID-Krise ein Hilfsprogramm für von der Krise betroffene Winzer ein. Durch die Kontaktbeschränkungen waren Weinhersteller, die normalerweise hauptsächlich an Bars und Restaurants verkaufen, plötzlich in ihrer Existenz bedroht. Auch abseits der Krise verbindet das Geschäftsmodell des Unternehmens wirtschaftlich Sinnvolles mit moralisch Gutem: Die Kunden von Naked Wines, „Angels“ genannt, ermöglichten beispielsweise Carmen Stevens, die erste 100 % „black-owned“ Winzerei in Südafrika aufzubauen.
MTU Aero Engines rief seine 170 Topmanager während der Krise dazu auf, ihre Boni in einen Solidarfonds für von der Krise besonders betroffene Mitarbeiter einzustellen: Über 90 % folgten dem Ruf und spendeten 4 Mio. €, allein von der obersten Führungsebene kamen mehr als 1 Mio. €. Das Unternehmen verzichtete auch trotz der historischen Krise in der Luftfahrt auf betriebsbedingte Kündigungen und setzte dagegen auf Altersteilzeit und Vorruhestandsregelungen.
Die Ratingagenturen sind sich untereinander keineswegs einig
Die einzelnen Fallbeispiele zeigen: Es ist sehr schwierig, diese Taten in einem ESG-Rating richtig abzubilden. Und wir sind mit dieser Einschätzung nicht allein: So stellte eine Studie der renommierten MIT Management School fest, dass die Korrelation zwischen den ESG-Einschätzungen unterschiedlicher Ratingagenturen nur bei 0,54 liegt. In anderen Worten: Die verschiedenen Ratingagenturen kommen häufig zu unterschiedlichen Einschätzungen und Bewertungen. Wie wir oben gezeigt haben, überrascht dies nicht, denn es herrscht nicht immer Einigkeit, was „nachhaltig“ objektiv bedeutet. Wir befürchten, dass am Ende des Tages nicht diejenigen Unternehmen positiv bewertet werden, die wirklich nachhaltig handeln, sondern eher jene, die am umfangreichsten dazu berichten und zufällig zum Teil arbiträre Anforderungen erfüllen. Für uns sind konkrete Taten wichtiger als ESG-Berichte auf Hochglanzpapier. Wie bei Anleihen-Ratings bilden wir uns auch bei der Einschätzung der Nachhaltigkeit eines Unternehmens selbst eine Meinung und werden unsere Beteiligungen auch in Zukunft an ihren Taten messen – ohne dabei die Verantwortung an ESG-Ratingagenturen oder Ähnliches auszulagern.