Alstom: Overengineering einer Übernahme?

Hinweis: Ab dem 25. Juni haben wir begonnen, eine Position in Alstom aufzubauen. Zum Verfassungszeitpunkt des Beitrags ist der ProfitlichSchmidlin Fonds UI in Alstom investiert. Wir ordnen Alstom dem opportunistischen Teil des Aktienportfolios zu und gehen von einer Haltedauer von mehreren Quartalen aus. 

Um Unternehmensübernahmen zu ermöglichen, wird dem Verkäufer in der Regel ein Aufschlag auf den Aktienkurs geboten. Dieser soll den Verkäufer veranlassen, seine Anteile anzudienen, und kann außerdem als Beteiligung der Alteigentümer an den erwarteten Synergien aus dem Unternehmenszusammenschluss aufgefasst werden. Wird ein börsennotiertes Unternehmen vollständig übernommen, kann dieses Premium in der Regel direkt am Aktienkurs abgelesen werden. Falls allerdings nur bestimmte Teile eines Unternehmens im Rahmen eines so genannten Asset Deals übernommen werden und nicht das komplette Aktienkapital Gegenstand der Transaktion ist, so ist das gebotene Premium in der Regel nur mit zahlreichen Annahmen ermittelbar.

Ende April wurde bekannt, dass der amerikanische Mischkonzern General Electric (GE) für einen Teil der Vermögenswerte des französischen Alstom Konzerns bieten würde. Alstom ist in den Bereichen thermische Energieerzeugung, erneuerbare Energien, Stromnetztechnik sowie Transport & Infrastruktur tätig. Das ursprüngliche GE-Angebot sah vor, die Tätigkeiten im Energiebereich vollständig zu übernehmen. Dadurch wäre Alstom nach der Transaktion lediglich das Transportgeschäft geblieben, welches unter anderem die Produktion des Hochgeschwindigkeitszuges TGV umfasst. Insgesamt wären etwa zwei Drittel des operativen Geschäfts von Alstom auf GE übergegangen. Der Kapitalmarkt begrüßte das Angebot mit einem Kursplus von ca. 30 % auf 29 € je Aktie.

 Viele Köche verderben den Brei

Zügig deutete sich an, dass die Transaktion wesentlich komplexer werden könnte als gedacht: Siemens, ein bedeutender Konkurrent von GE, bekundete wenige Tage später ebenfalls Interesse an Teilen des Alstom Konzerns und verkündete, dass ein gemeinsames Angebot von Siemens und Mitsubishi Heavy Industries für Alstom denkbar wäre. Außerdem kündigte der französische Staat lautstark Bedenken gegenüber dem US-amerikanischen Angebot an und erließ dazu sogar ein Gesetz, das es erlaubt, Übernahmen strategisch wichtiger Unternehmen in Frankreich zu blockieren. Durch die unterschiedlichen Interessen der Beteiligten war bereits abzusehen, dass sich der Übernahmeprozess in die Länge ziehen würde.

GE sah sich aufgrund eines Gegenangebots von Siemens und der Bedenken der Politik zu einer Nachbesserung des Angebots gezwungen und erhielt, nach zahlreichen Zugeständnissen, Ende Juni den Zuschlag. Erst nach und nach sickerten weitere Details der Transaktion durch. Der Aktienkurs verlor über 10 % und sank zeitweise auf unter 26 €. Diese Kursentwicklung ist auf den ersten Blick nicht nachvollziehbar, schließlich erscheinen die finanziellen Implikationen für die Aktionäre auf den ersten Blick nicht nachteilig gegenüber der ursprünglichen Offerte. Wieso kam es nach der Einigung über mehrere Tage zu Kursverlusten?

Aus einem reinen Tausch von Vermögenswerten gegen Bargeld wurde am Ende ein komplexes Geflecht aus Käufen und Verkäufen, verziert mit diversen zukünftigen Handlungsoptionen für Alstom und GE:

  • Alstom verkauft das Energiegeschäft an GE für 12,35 Mrd. €
  • Alstom erwirbt Anteile in Höhe von jeweils 50 % an drei Joint Ventures (JV) für 2,5 Mrd. €; diese bestehen aus Teilen des ursprünglichen Energiegeschäfts von Alstom sowie eingebrachten Vermögenswerten von GE
  • Alstom erhält Verkaufsrechte an GE für alle drei JVs zu einem festgesetzten, jährlich ansteigenden Preis, der mindestens der ursprünglichen Investition entspricht
  • Alstom erwirbt den Bereich „Rail Signalling“ von GE für 600 Mio. €
  • Alstom erhält von GE Wartungsverträge für den Bereich Transport in Nordamerika
  • GE erhält eine Kaufoption für das Joint Venture im Bereich erneuerbare Energien

Eine „Salami-Übernahme“?

Trotz der grundsätzlichen Komplexität der Transaktion vereinfacht ein Faktor die Unternehmensbewertung von Alstom: Ein großer Teil der Vermögenswerte des Unternehmens setzt sich aus Barmitteln und liquiditätsnahen Werten zusammen, für weitere Teile sind nur wenige Annahmen zur Bewertung erforderlich. Zu einem Kurs von 26 € je Aktie betrug die Marktkapitalisierung von Alstom 8.034 Mio. €. Nach der Transaktion wird Alstom über folgende nicht operative Vermögenswerte verfügen:

in Mio. €

Kommentar

Nettokasse

4.122

Nach dem Closing der Übernahme

Kredit London Metro

364

Buchwert aus dem Geschäftsbericht 2013

25% an Transmashholding

700

10 x Durchschnittsgewinn aus 2012/2013

Sonstige Vermögenswerte und Verpflichtungen

– 620

Minderheitsanteile, Steuern auf die Transaktion und Pensionsverpflichtungen

Summe nicht operativer Vermögenswerte

4.566

14,82 € je Aktie

Nachdem mit wenigen Annahmen der Wert der nicht operativen Vermögenswerte des Unternehmens hergeleitet werden konnte, verbleibt die Bewertung der operativen Geschäftsfelder. Das operative Geschäft teilt sich nach der Übernahme in folgende Bereiche auf:

Übersicht der operativen Einheiten von Alstom

Übersicht der operativen Einheiten von Alstom

Ungewöhnlich und für die Alstom Aktionäre besonders attraktiv ist die Ausgestaltung der Joint Ventures. Alstom verfügt über eine Option, die drei JVs in den Jahren 2018 und 2019 einzeln oder gemeinsam zu einem Preis von insgesamt mindestens 2.813 Mio. € an GE zu verkaufen. Dies entspricht einem heutigen Wert von ca 2.500 Mio. € oder 8,09 € je Aktie. Damit können die Aktionäre mit einem Mindestwert für die JVs kalkulieren, der die Bewertung dieser Anteile erheblich vereinfacht. Es ist anzunehmen, dass bei dieser Konstruktion der französische Staat als neuer Aktionär mitgewirkt hat. Auf diese Weise ist die finanzielle Stabilität von Alstom auch in konjunkturell unsicheren Zeiten abgesichert; Alstom musste noch im Jahr 2003 vom französischen Staat vor der Insolvenz gerettet werden. Zudem ist eine Übernahme in „Scheiben“, welche über einen längeren Zeitraum gestreckt ist, politisch erheblich unproblematischer zu vertreten. Aus einigen Äußerungen der Unternehmensführung von Alstom geht hervor, dass das Unternehmen tatsächlich beabsichtigt, die Verkaufsoptionen auszuüben. Konservativ kann der Wert der JVs aus diesem Grund in einer Unternehmensbewertung mit dem Mindestwert der Verkaufsoptionen angesetzt werden. Letztlich steht es dem Unternehmen aber auch frei, seinen Anteil an den Gemeinschaftsunternehmen am Kapitalmarkt zu einem höheren Preis zu verkaufen. Als letzte Unbekannte in der Rechnung verbleibt der Wert des Transportgeschäfts von Alstom. Die implizite Bewertung dieses Geschäftsbereichs lässt sich nun aus der Marktkapitalisierung in Höhe von 8.034 Mio. € des Unternehmens verglichen mit den vorhandenden nicht-operativen Vermögenswerten und JVs von 7.066 Mio. € bestimmen. Die aktuelle Marktkapitalisierung des Unternehmens impliziert also eine Bewertung des Transportgeschäfts von nur 968 Mio. €. Dabei ist zu bedenken, dass dieser Geschäftsbereich durch das Signalgeschäft von GE gestärkt wurde und weiteres Einsparpotenzial in Form von Synergien besteht. Auf der Basis unserer Annahmen leitet sich eine Bewertung des Transportgeschäfts zum 3,5-fachen EBIT ab. Andere Unternehmen aus diesem Sektor sind derzeit mit dem 9 bis 11-fachen des EBITs bewertet. Dies stellt eine attraktive Bewertung dar, insbesondere da die Bewertung durch die Barmittel, die sonstigen Vermögenswerte und den Mindestwert der JVs einen Boden hat, welcher das Verlustpotential begrenzen sollte. Zudem profitiert der Transportbereich von einem aktuell historisch hohen Auftragsbestand und zyklisch tiefen Margen, die in den nächsten Jahren eine gewisse operative Dynamik erwarten lassen. Eine faire Bewertung des Bereichs zum zehnfachen EBIT erscheint uns daher nicht unangemessen. Die genaue Bewertung in den jeweiligen Einzelschritten ist auf der folgenden Grafik dargestellt:

Zusammensetzung der Bewertung

Zusammensetzung der Bewertung

Unter den obigen Annahmen lässt sich eine Bewertung des Konzerns von ca. 34 € je Aktie ableiten. Dieser Wert könnte durch sinnvolle Aktienrückkäufe noch weiter gesteigert werden. So würden schon 2,5 Mrd. € genügen, um 30% der ausstehenden Aktien zurückzukaufen und dadurch auf dem aktuellen Kursniveau einen zusätzlichen Wertbeitrag von 3 € je Aktie zu generieren.

Wie dieser Beitrag belegt, ist die Übernahme von Alstom durch GE relativ komplex. Darin könnte ein Grund für den Kursverfall der Aktie in den ersten Tagen nach der Einigung mit GE liegen. Anders als bei einer vollständigen Übernahme eines gelisteten Unternehmens sind den Kapitalmarktteilnehmern bei diesem Asset Deal die finanziellen Implikationen der Transaktion nicht ohne Annahmen und eigene Kalkulationen ersichtlich. Die Einordnung der Transaktion wurde in den ersten Wochen nach der Einigung durch unvollständige und teilweise scheinbar widersprüchliche Informationen erschwert (vgl. Unterschiede in den Pressemitteilungen der beiden Unternehmen). Außerdem wird die Übernahme zu einer Änderung der Sektorklassifizierung von Alstom führen und institutionelle Investoren, die Alstom insbesondere wegen des Energiegeschäfts halten, könnten sich gezwungen sehen, Anteile abzustoßen. Das operative Geschäft von Alstom wird sich durch die Transaktion substanziell verkleinern; dies könnte ebenfalls dazu geführt haben, dass größere institutionelle Investoren sich von dem Titel trennten. Insbesondere nach einer möglichen Sonderdividende wäre die Marktkapitalisierung des Unternehmens deutlich geringer. Auch die Beteiligung des französischen Staates an Alstom wird für Verunsicherung gesorgt haben. Ein staatlicher Einfluss auf die Unternehmensführung wird von Kapitalmarktteilnehmern in der Regel kritisch beäugt.

Die Attraktivität dieser Aktie ergibt sich insbesondere aufgrund der geringen Sensitivität hinsichtlich der Annahmen. Dadurch, dass der Wert der Barmittel, der sonstigen Vermögenswerte und der Joint Ventures ohne viele Annahmen hergeleitet werden können, ergibt sich ein Boden für die Bewertung des Unternehmens. Dieser liegt bei 22,87 € je Aktie. In Ermangelung größerer Übernahmeziele gehen wir nicht davon aus, dass die Managemententscheidung über die Verwendung der Barmittel in größerem Umfang Wert zerstörend sein wird. Vielmehr gehen wir davon aus, dass sich mögliche Sonderdividenden oder Aktienrückkäufe als Werttreiber für die Bewertung des Unternehmens erweisen werden.