Langfristiges, konzentriertes Investieren ist untrennbar mit nachhaltigem, moralisch korrektem Unternehmertum verbunden. Nur Unternehmen die langfristig überhaupt bestehen können, qualifizieren sich für eine Beteiligung.
Die grundlegendste Voraussetzung für die Teilnahme eines Unternehmens am Wirtschaftskreislauf wird im englischen als license to operate bezeichnet. Der Begriff ist als eine Art Akzeptanz der Gesellschaft gegenüber einem Unternehmen aufzufassen, ohne die ein Unternehmen nicht profitabel wirtschaften kann. Volkswagen lief während des Dieselskandals beispielsweise Gefahr, derartig an Reputation und Glaubwürdigkeit zu verlieren, dass rückläufige Absatzzahlen und Schadenersatzzahlungen zu einer existenzbedrohenden finanziellen Schieflage für das Unternehmen geführt hätten. Ein korrekter Umgang mit allen Stakeholdern ist unverzichtbar. Wer nicht korrekt mit Kunden, Zulieferern, Mitarbeitern und Umwelt umgeht erhält die Rechnung – früher oder später – in Form von Rüffeln der Betroffenen und damit einhergehend möglicherweise nachhaltigen Reputations- und Ertragseinbußen. Von Unternehmen wird nicht bloß erwartet, dass sie gesetzestreu wirtschaften, sondern auch dass sie sich moralisch und ethisch korrekt verhalten. Es kann nicht im Interesse eines langfristigen Investors sein, dass die gesellschaftlichen Erwartungen hinsichtlich eines Unternehmens enttäuscht werden. Die Strahlkraft der Reputation reicht in viele Dimensionen: Habe ich als Mitarbeiter einen hohen Identifikationsgrad mit meinem Unternehmen? Bin ich als Kunde stolz darauf Produkte des Unternehmens zu erwerben?
Was machen Ratingagenturen eigentlich?
Es gibt mit MSCI, Sustainalytics, RepRisk und ISS vier große Ratingagenturen, welche die Nachhaltigkeit von Unternehmen beurteilen. Ähnlich wie auch die großen Ratingagenturen, die die finanzielle Stabilität von Unternehmen und Staaten bewerten, beurteilen diese die Nachhaltigkeit eines Unternehmens in verschiedenen Dimensionen und leiten daraus anschließend eine Gesamtnote ab. Unterteilt wird die Analyse dabei in der Regel in Umwelt-, Gesellschafts- und Governance-Faktoren. Aus diesen drei Teilbereichen ergibt sich das Akronym ESG (environmental, social, governance). Da Ratingagenturen verschiedenste Faktoren in das Gesamturteil einfließen lassen, ist es denkbar, dass einzelne Unternehmen sehr gut in einer Kategorie abschneiden und gleichzeitig sehr schlecht in einem anderen Kriterium bewertet werden. Nicht anders ist es bei Kreditratingagenturen: Japan ist gemessen am Bruttoinlandsprodukt das mit Abstand am höchsten verschuldete Land der Welt; trotzdem weisen sowohl S&P als auch Moody’s dem Land mit einem A-Rating die dritthöchste Note aus. Da Ratingagenturen über viele Dimensionen hinweg ein Urteil bilden bedeutet dies nicht, dass ein Land oder Unternehmen in jeder Dimension entsprechend bewertet ist. Das Ergebnis ist immer eine Abwägung.
Die Abwägung ist alles andere als einfach
Einer aktuellen Analyse zufolge schneidet beispielsweise Volkswagen auch nach dem Abgasskandal weiterhin besser ab als der führende Hersteller von Elektroautos Tesla. Ein Urteil, das durchaus verwundern kann, denn Volkswagen hat seine Kunden und Regulatoren über die Emissionswerte seiner Fahrzeuge getäuscht. Mehrere Mitarbeiter sind strafrechtlich belangt worden oder befinden sich in laufenden Verfahren. Unter Corporate Governance-Gesichtspunkten ist die komplexe Beteiligungsstruktur über die Porsche Holding sowie die Unterteilung des Kapitals in Stamm- und Vorzugsaktien zumindest nicht lehrbuchmäßig. Diese Corporate Governance-Defizite sind wohl auch mitverantwortlich für die im Rahmen des Dieselskandals offensichtlich gewordene mangelnde Kontrolle durch die Aufsichtsgremien. Zwar weist auch Tesla in Sachen Corporate Governance Defizite auf, das Unternehmen gilt jedoch als Vorreiter in Sachen umweltfreundlicher Elektromobilität, was zumindest in dieser Dimension ein deutlich besseres Ranking als bei Volkswagen erwarten lässt. Es gibt in diesem Fall aber auch Dimensionen, in denen Volkswagen wesentlich besser abschneidet als der Konkurrent – anders lässt sich dieses Rating nicht erklären. Um bei diesem Beispiel zu bleiben: Es ist nicht einfach die Umweltbelastung eines Produkts vollumfänglich zu messen. Es gibt Anzeichen dafür, dass Elektrofahrzeuge wesentlich langlebiger sind als herkömmliche Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Dies bedeutet aber auch, dass eine viel höhere Umweltbelastung bei der energieintensiven Produktion von Karbonteilen möglicherweise durch die höhere Langlebigkeit der Fahrzeuge kompensiert werden könnte. Die Ratingagenturen legen jedoch ihr Vorgehen nicht transparent dar und so bleibt in Einzelfällen unklar, was die unterschiedliche Beurteilung zweier Unternehmen konkret getrieben hat.
Einheitliche Standards: Was ist eigentlich objektiv nachhaltig?
Ein grundlegendes Problem scheint, dass die Ratingagenturen unterschiedliche Dinge messen. Die Agentur RepRisk versucht mit ihrem Ansatz die Exponiertheit („risk exposure“) hinsichtlich der ESG-Kriterien eines Unternehmens zu messen. Das Problem ist dabei, dass einzelne Branchen, beispielsweise Zementhersteller, strukturell gegenüber einer größeren Zahl von ESG-Faktoren exponiert sind als andere. Es braucht aber auch Zementhersteller und das Produkt als solches ist nicht verwerflich. Es gibt daher Anzeichen dafür, dass die Bewertung von Exponiertheit allein einen starken Branchen-Bias verursacht. Sustainalytics bewertet Unternehmen dagegen hinsichtlich preparedness (commitment), disclosure und performance (qualitativ und quantitativ). Es ist also wichtig zu verstehen, dass die ESG-Ratingagenturen – anders als die Kreditratingagenturen – grundsätzlich jeweils etwas anderes messen. Es fehlt an Standards, ohne die kein objektives und weitestgehend einheitliches Rating möglich ist.
Wir verlassen uns nicht auf Ratings jedweder Form
Wie auch bei Kreditratings gilt für ESG-Ratings, dass wir uns alleine darauf nicht verlassen. Wir möchten uns nicht mit einem Verweis auf ein Rating aus der Verantwortung ziehen, sondern bilden uns im Rahmen unserer Unternehmensanalyse ein Urteil. Eine Analyse der Nachhaltigkeitskriterien ist dabei für langfristiges Investieren wie dargelegt unumgänglich. Mehr noch, wir denken, dass sich aus einer sorgfältigen Analyse derartiger weicher Faktoren auch interessante Rückschlüsse auf die operativen Prozesse eines Unternehmens ziehen lassen. Beim Chemiedistributor Brenntag wird beispielswiese jeder Unfall, der einen ausgefallenen Arbeitstag eines der 15.000 Mitarbeiter zur Folge hat, auf allerhöchster Ebene im Vorstand des Unternehmens thematisiert. Das Unternehmen hat einen rigorosen Fokus auf Sicherheit. Um dies wirksam umzusetzen, ist die Investition in und die systematische Einhaltung von Sicherheitsprozessen erforderlich. Dies stellt ein interessantes Signal dar: Wer derartig systematisch Prozesse in einem Teilbereich, wie in diesem Fall die Sicherheit anwendet, folgt wahrscheinlich auch in anderen Bereichen, etwa Controlling, ähnlich systematischen Prozessen, weil es Teil der Unternehmenskultur ist.
Zu den Faktoren, die wir im Rahmen unserer Analyse berücksichtigen gehören:
- Betrachtung der Unternehmenskultur, Besuche der Unternehmen vor Ort
- Treffen mit dem Management, um uns von dessen Integrität zu überzeugen
- Betrachtung der Managementvergütung und Anreizstrukturen im Unternehmen
- Mitarbeiterzufriedenheit durch Gespräche, Auswertung der Fluktuationsquote, nach Möglichkeit Analyse von Bewertungsportalen wie zum Beispiel Glassdoor Reviews
- Einbeziehung der Nachhaltigkeits- und Corporate Governance-Berichte
- Nach Möglichkeit: Test der Produkte
- Verfügbare Sekundärliteratur zum Unternehmen
Grundsätzlich greifen wir in unserer Analyse auf alle uns zur Verfügung stehenden Quellen zurück und wägen dann ab ob wir an dem Unternehmen langfristig beteiligt sein möchten.
In unserem Blogbeitrag Von Marionettenspielern, Klüngelei und Talentscouts sind wir bereits auf die Rolle von Corporate Governance in unserem Analyseprozess eingegangen.