Mind the (Prospectus) Gap

Griechenland ist wieder kapitalmarktfähig. Zwei Jahre, nachdem im Rahmen der bis dahin größten Restrukturierung aller Zeiten über 100 Milliarden Euro Schulden gestrichen wurden, ist das Land im April erfolgreich an den Kapitalmarkt zurückgekehrt. Die Hellenen konnten eine fünfjährige Anleihe mit einem Kupon von fünf Prozent emittieren – die Auktion der Papiere war dabei mehrfach überzeichnet. Die Kapitalmärkte vergessen schnell.

Die historische Restrukturierung im März 2012 war insbesondere deshalb möglich, weil der Großteil der damals ausstehenden Staatsanleihen (93 %) nach griechischem Recht emittiert war. Dies ermöglichte es der Regierung, die Anleihebedingungen rückwirkend durch Gesetzesbeschluss zu ändern. Über diesen Weg können Prospektbedingungen einseitig geändert werden. Im griechischen Fall wurden nachträglich Collective Action Clauses eingeführt. Diese Klauseln ermöglichen einer vordefinierten Gläubigermehrheit, die Anleihebedingungen für alle Halter der Anleihe bindend zu ändern. Es ist daher wenig überraschend, dass Investoren nach den unerfreulichen Erfahrungen des griechischen Schuldenschnitts die Ausgestaltung der neuen Anleihen nach ausländischem Recht verlangten, um in Zukunft dem Risiko unilateraler Gesetzesänderungen einen Riegel vorzuschieben. Tatsächlich wurden die im Zuge der Restrukturierung (Private Sector Involvement) emittierten PSI-Anleihen nach englischem und Waliser Recht begeben. Selbstverständlich ist auch die im April 2014 emittierte fünfjährige Anleihe nach englischem Recht aufgelegt – also sollten diese Papiere entsprechend sicher sein, oder etwa nicht?

Die rechtliche Sicherheit von Anleihen nur anhand des anwendbaren Rechts einzuschätzen, greift zu kurz. Betrachtet man die einzelnen Klauseln innerhalb des Anleiheprospekts genauer, findet man einige erstaunliche Feinheiten. Griechenlands Anwälte waren wieder kreativ.

Im Rahmen der Restrukturierung wirkten die Gläubiger Griechenlands an der Gestaltung der Bedingungen der PSI-Anleihen maßgeblich mit. Es ist davon auszugehen, dass dies bei der im April emittierten Anleihe nicht der Fall war. Werfen wir zuerst einen Blick auf die Pari-passu-Klausel der PSI-Anleihen, die im Zuge der Schuldenrestrukturierung im Jahr 2012 emittiert wurden. Die Pari-passu-Klausel regelt die rechtliche Stellung und den Rang der Anleihe:

The bonds constitute direct, unconditional and, subject upon this Condition, unsecured obligations of the Republic. The Bonds rank, and will rank, pari passu among themselves and with all unsecured and unsubordinated borrowed money from the Republic.

Dies kann als sichere Standardversion der Pari-passu-Klausel aufgefasst werden, die auch bei einem Zahlungsausfall wenig Klagerisiko für den Emittenten bedeutet. In der Vergangenheit, insbesondere im aktuellen Fall Argentiniens, führte eine leicht abgeänderte Version dieser Klausel allerdings zu massiven Problemen für den Emittenten, da diese vor Gericht so interpretiert wurde, dass alle Anleihehalter unabhängig von ihrer Zustimmung zu einem bestehenden Restrukturierungsangebot pro rata bedient werden müssen. Um sicherzugehen, präzisiert die Pari-passu-Klausel der im April begebenen fünfjährigen Anleihe daher:

The Notes constitute direct, unconditional, unsubordinated and unsecured obligations of the Republic. The Notes rank, and will rank, equally among themselves […] provided, however, that, […] this provision shall not be construed so as to require the Republic to pay all items of its indebtedness ratably as they fall due.

Dies versetzt die Halter der neuen Anleihe in eine etwas schlechtere Position im Vergleich zu den Anleihen aus der Restrukturierung. Da jedoch schon die ursprüngliche Version wenig anfällig für Klagen war, beeinträchtigt dieses Detail die Sicherheit der Halter der Anleihe nur geringfügig. Es hat uns aber dazu bewogen, nachzuforschen, ob möglicherweise weitere Bedingungen angepasst wurden.

Nächstes Beweisstück: Werfen wir einen Blick auf die ursprüngliche „payment“-Klausel der PSI-Anleihen:

Payments in respect of the Bonds are subject in all cases to any fiscal law and regulations applicable in the place of payment […]

Wie schon bei der Pari-passu-Klausel handelt es sich hierbei um die international gängige Standardversion, die sicherstellt, dass alle Zahlungen dem Recht der jeweiligen Zahlstelle unterliegen – dies ist normalerweise Luxemburg oder London.

Im Prospekt der Anleihe von April 2014 findet sich eine abweichende Formulierung:

Payments in respect of the Notes will be subject in all cases to any fiscal or other laws and regulations applicable thereto […]

Aufgepasst! Wo ist das „in the place of payment“ geblieben? Durch die Streichung dieser Formulierung haben die Autoren auch die Interpretation der Klausel massiv verändert: War zuvor noch regelmäßig Luxemburger oder englisches Recht maßgeblich, so ist nun „any fiscal […] law“ anwendbar. Nach Auffassung akademischer und juristischer Kreise findet dadurch nun durchaus das heimische Recht Anwendung. Durch diese Änderung würde somit lokales Recht, in diesem Fall griechisches Recht, durch die Hintertür in den nach englischem Recht verfassten Anleiheprospekt eingeführt.

Eine weitere Standardklausel, die sich in fast jeder internationalen Staatsanleihe findet, ist die Negativerklärung. Diese Klausel, auf Englisch auch als „negative pledge“ bekannt, stellt sicher, dass keinem anderen unbesicherten Gläubiger Sicherheiten zur Verfügung gestellt werden, ohne dass auch alle anderen Gläubiger pro rata in den Genuss der Sicherheit kommen. In englischer Juristensprache liest sich das in den Bedingungen der PSI-Anleihen folgendermaßen:

So long as any Bond remains Outstanding, the Republic shall not create or permit to subsist any mortgage, pledge, lien or charge upon any of its present or future revenues, properties or assets to secure any Relevant Indebtness, unless the Bonds shall also be secured by such mortgage, pledge, lien or charge equally and ratably with such Relevant Indebtness.

Dies ist eine extrem wichtige Klausel, da Anleihehaltern in einer Restrukturierung ohne diese Bestimmungen ein nachrangiger Status droht. Im Fall der im April emittierten Anleihen wurde diese Klausel schlichtweg weggelassen!

Vor diesem Hintergrund erscheint die im April 2014 begebene Anleihe gegenüber den meisten aktuell ausstehenden Griechenland-Anleihen strukturell nachrangig zu sein. Wir haben allerdings unsere Zweifel, ob sich die Zeichner der neuen Anleihe dieser Details bewusst sind und den Prospekt vor Emission gelesen haben. Für uns ist eine Anleiheinvestition ohne vorheriges Studium des Prospektes vergleichbar mit einem Segelgang ohne Kompass in unbekannten Gewässern: Man riskiert, im Ägäischen Meer unterzugehen.

Tatsächlich bestätigt eine kürzlich von uns veröffentlichte Ausarbeitung das kurze Gedächtnis und die Indifferenz der Märkte: Der Spread zwischen Anleihen nach fremden und heimischem Recht in Europa hat sich praktisch in Luft aufgelöst, obwohl letztere im Fall einer Restrukturierung ein wesentlich höheres Risiko aufweisen.

Für uns hat die Emission im April einen begrüßenswerten Nebeneffekt: Wir halten eine Griechenland-Anleihe (nach italienischen Recht, ohne CACs und weitere Prospektbesonderheiten; siehe 1. Quartalsbericht) mit Laufzeit bis 11. März 2019. Die nun im April neu emittierte Anleihe wird nur fünf Wochen später fällig. Dadurch ist unsere Anleihe dieser gegenüber nicht nur juristisch, sondern auch zeitlich gesehen vorrangig.